Abstract
ZusammenfassungZeit ist in der Geschichtsschreibung der Chirurgie ein bislang kaum behandelter Untersuchungsgegenstand. Dennoch beruhte die Entstehung moderner Operationsverfahren maßgeblich auf der Etablierung kontrollierter Zeitverhältnisse durch die Abstimmung organischer, technischer und organisatorischer Abläufe. Besonders die frühe Herzchirurgie sah sich einem gravierenden Zeitproblem ausgesetzt, welches darin bestand, das Herz lange genug aus dem Kreislauf auszugliedern, um in seinen blutleeren Kammern zu operieren. Dieses Problem lässt sich ins frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen, als Chirurgen wie Ludwig Rehn (1849–1930), Friedrich Trendelenburg (1844–1924) und Alexis Carrel (1873–1944) mit Abklemmungen der großen Gefäße experimentierten. Im Laufe der ersten Jahrhunderthälfte wurden verschiedene Versuche unternommen, die mögliche Zeitspanne der Kreislaufunterbrechung zu verlängern. Beispielsweise entwickelte Arthur W. Meyer (1885–1934) in Berlin chirurgisch-handwerkliche Verfahren, John H. Gibbon Jr. (1903–1973) arbeitete in Boston/philadelphia an der Konstruktion einer Herz-Lungen-Maschine und Wilfred G. Bigelow (1913–2005) experimentierte in Toronto mit der Absenkung der Körpertemperatur. Detailanalysen dieser Versuche verdeutlichen, wie heterogene Dauern, Rhythmen und Geschwindigkeiten in Einklang gebracht werden mussten, um entscheidende Minuten oder gar Sekunden zu gewinnen. Folglich lassen sich wichtige Entwicklungen auf dem Weg zur Chirurgie am offenen Herzen als eine Geschichte chirurgischer Zeit beschreiben.