Abstract
Platon läßt in der Politeia seine Sokrates-Gestalt in Buch I und anderen früheren Büchern mit Voraussetzungen argumentieren, die für seine Beweisführung wesentlich sind, deren Berechtigung aber erst in einem späteren Zusammenhang erkennbar wird. Diese Antizipationen werden hier in Anlehnung an Ch.H. Kahn, der die von ihm beobachteten Bezüge zwischen früheren und späteren Büchern der Politeia "proleptic composition" genannt hat, als ‘proleptische Argumentation’ bezeichnet. Es läßt sich an der Konzeption der Gerechtigkeit erweisen, daß diese argumentativen Vorgriffe – so willkürlich sie an Ort und Stelle erscheinen – Bestandteil eines planmäßigen Vorgehens sind, das im Rahmen des Dialogs an die Gesprächspartner angepaßt ist, aber durch seinen systematischen Aufbau einen über den Dialog hinausführenden Erkenntnisprozeß beim Leser anzustoßen vermag