Abstract
Die vorliegende Studie beleuchtet die Problematik der Unbeherrschtheit im gesamten Corpus Platonicum und rekonstruiert die historisch nachweisbare Differenz zwischen Sokrates und Platon in diesem Punkt anhand des Leib-Seele-Verhältnisses. Unter Rekurs auf Xenophons Memorabilia wird gezeigt, dass das sokratische Verständnis von akrasia subkutan auf einem rigorosen Leib-Seele-Dualismus unter Annahme einer eingestaltigen Seele beruht. Bei Platon verschieben sich diese Koordinaten: In Politeia IV wird der Konflikt im Rahmen der seelischen Trichotomie internalisiert, während im Spätwerk der Leib zwar wieder als unmittelbarer ursächlicher Faktor für unbeherrschtes Verhalten auftritt, aber nicht mehr in dualistischer Entgegensetzung zur Seele verstanden wird. Insofern Platon vom evaluativen Monismus der sokratischen Handlungspsychologie abrückt, ist bei ihm eine relativ „starke" Form von Willensschwäche möglich, die sich nicht einfach auf Unwissenheit im Sinne kognitiver Fehlleistungen reduzieren lässt. Die Entwicklungen in Sachen akrasia innerhalb des Corpus Platonicum gehen somit insgesamt mit der Revision des Verhältnisses von Leib und Seele einher