Abstract
Nach Platon „vermittelt“ die Philosophie als Kunst der Dialektik durch Dialog zwischen Begriffen und Disziplinen. Um dies zu zeigen, wird hier eine Lektüre von Platons Symposion vorgestellt, in der das Verhältnis der Disziplinen mit Wissens- und Erziehungsanspruch in Platons Zeit beleuchtet wird. Jede Rede des Symposions ist wie eine Stellungnahme in einem Dialog zu verstehen, so dass das Gesamtwerk als sieben Reden zu lesen sind, die dialogisch aufeinander verweisen.
Die Grundannahme dieser Lektüre besagt, dass den einzelnen Reden verschiedene Wissenschaften oder Künste zuzuordnen sind, die einen Wissens- und Erziehungsanspruch vertreten, und dass der in der Rede vorgestellte und verteidigte Liebesbegriff jeweils der dieser Disziplin entsprechende ist. Die unterschiedliche Begriffsbestimmung in den einzelnen Wissenschaften und Künsten nehmen indirekt aufeinander Bezug, widersprechen sich und ergänzen sich.
Die Fragen, welche Platon im Symposion diskutiert, betreffen nicht nur die Erkenntnistheorie, Ideenlehre, Rolle des Dialogs für die Philosophie, Fragen der Erziehung und der Kreativität, sondern auch ein Problem, das sich durch die bereits in Platons Zeiten aufkommende Ausdifferenzierung der Disziplinen und Wissenschaften ergibt. Welcher der Disziplinen mit Wissens- und Erziehungsanspruch kommt der Führungsanspruch in Bezug auf die Jugend und damit die Gesellschaft sowie das Wissen zu?
Das Angebot Platons um diese Frage zu beantworten und die unterschiedlichen Begriffsbestimmungen und Begriffsangebote zu vereinen, besteht in einer komplizierten Konstruktion. Ein Teil der Antwort bezieht die Philosophie (Eros, Sokrates) und den philosophischen Dialog, für den der Eros unabdingbar ist, direkt mit ein. Im philosophischen Dialog sollten die Begriffsmerkmale ausfindig gemacht werden, die für einen Begriff und seine Bedeutung unabdingbar ist. Dieser Dialog wird aber nicht ausschließlich zwischen Diotima und Sokrates geführt. Er hat ebenso wie die dialogisch aufeinander bezogenen Reden der gesamten Schrift eine Vorbildfunktion. Dieser indirekte Dialog, der durch Abstimmung der Reden zueinander „geführt“ wird, enthält einen weiteren Tel der Antwort. Der eigentliche „Dialog“ muss aber schließlich zwischen der Leserin und dem „Symposion“ stattfinden.