Abstract
In den folgenden Überlegungen wird der Frage nachgegangen, welchen Status die
Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Begriff in der Philosophie Husserls hat und
inwiefern sie für die Herausarbeitung eines ästhetischen Wissens fruchtbar gemacht werden
kann. Husserl formuliert in den Ideen I das „Prinzip aller Prinzipien“ für die Philosophie,
„daß jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was
sich uns in der ‚Intuition’ originär (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet,
einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es
sich da gibt[...].“1 Eine Anschauung ist also die subjektive Erscheinungsweise eines
Gegenstandes: Etwas erscheint mir „als“ etwas, d.h. das Selbstsein der Sache ist nicht ein ‚ansich’
Sein, sondern eine „subjektive[], situationsgebundene[] Gegebenheitsweise.“2 Es gibt
eine Korrespondenz zwischen der Gegebenheitsweise – dem ‚Wie’ des Erscheinens – und
dem Gegenstandsart bzw. dem Gegenstandssinn – dem ‚als Was’ der Gegenstand vermeint
ist.
Sinnliche und kategoriale Anschauungen konstituieren die Form der Gegenständlichkeit: die
sinnliche aus den „Auffassungsstoffen“, die kategoriale aus den „Auffassungsformen“. Sie
sind nicht getrennte Bereiche in der husserlschen Phänomenologie, sondern sind durch ein
Fundierungsverhältnis3 aufeinander bezogen: Laut den Logischen Untersuchungen ist eine
kategoriale Anschauung4 ein durch eine sinnliche Wahrnehmung fundierter intentionaler Akt;in der kategorialen Anschauung erfüllen sich die „kategorial geformten Bedeutungen“.5 Im
Unterschied zur sinnlichen Anschauung ist die kategoriale Anschauung durch einen
„Überschuss in der Bedeutung“ charakterisiert, denn „nur die in []einem ‚Begriff‘ vereinten
Merkmalbedeutungen terminieren in der Wahrnehmung“.6
In seinen späteren Überlegungen erkennt Husserl aber, dass das Kategoriale auf das Nichtkategoriale,
auf das Vorprädikative bzw. die passive Synthesis hinweist. Im Folgenden wird
daher die These vertreten, dass diese Anerkennung einer passiven, vorkategorialen,
ursprünglichen Sinnstiftung und die darauf aufbauende sich stets fortbildende Sinnbildung des
identischen Gegenstandes im kontinuierlichen Wahrnehmungsverlauf dem Gegenstand einen
sinnlichen Überschuss aufprägt, den die kategoriale Wahrnehmung nicht einzulösen vermag.
Diesem Überschuss liegen spezifische Wissensformen zugrunde, die nicht mehr ganz im
Sinne Husserl, sondern in Anknüpfung an Platons Politeia als eikasía (Vermutung: den
Bildern, eikones, entsprechend) und pístis (Hinnahme, Überzeugung) bestimmt werden
können. Im letzten Teil des Vortrages wird schließlich ein auf dem Boden der Lebenswelt
aufbauendes Fundierungsverhältnis zwischen ästhetischem und wissenschaftlichem Wissen
vorgeschlagen.