Zwischen Todesverdrängung und -integration. Ambivalenzen moderner Medizin

Ethik in der Medizin 22 (4):331-340 (2010)
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Abstract

Dass unsere Gesellschaften den Tod verdrängen, ist eine weit verbreitete Überzeugung. Sie lässt sich jedoch soziologisch weder belegen noch widerlegen: A) Die Moderne ist sich des Todes wohl bewusst. Zum einen kennt sie aufgrund ihrer funktionalen Differenzierung viele Todesbilder. Zum anderen ist sie stark individualisiert, so dass der Tod eine neue Bedeutung gewinnt. Er wird zum irreversiblen Verlust einer unersetzbaren und in sich wertvollen Person. B) Die Moderne wird aber auch als todesverdrängend erlebt, insofern viele ihrer Todesbilder diesen individuellen Tod ignorieren. Diese Ambivalenzen lassen sich in einer Betrachtung moderner Medizin genauer aufklären: A) Diese thematisiert den Tod durchaus, aber vorrangig erfahrungswissenschaftlich, so dass die Person und der ihr eigene Tod gerade ausgeklammert werden. Da die subjektive Dimension auch für Schmerzphänomene konstitutiv ist, grenzt eine solche Medizin diese ebenfalls aus. Sie gelten als tendenziell sinnlos und werden ignoriert oder aber beseitigt. B) Zugleich ist moderne Medizin stets schon mehr als reine Naturwissenschaft, da sie auch einer Logik individuellen Fallverstehens folgt. Beide Logiken sind spannungsvoll, können einander ergänzen, aber auch konfligieren. Während eine dominante Orientierung an den Naturwissenschaften weder den Schmerzen noch dem individuellen Tod gerecht wird, ermöglicht das individuelle Fallverstehen eine reflexive Kritik. Derzeit ist es vor allem die Palliativmedizin, die sich für eine neue Balance dieser Handlungslogiken einsetzt, wobei offen ist, ob sie einen verdrängenden Umgang mit dem Tod überwinden kann

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