Abstract
Angesichts der erhitzten Debatten vor allem in den deutschen Feuilletons, aber auch eines gewissen Trends zum Kollektiven in den ‚westlichen‘ Künsten, fragt der Beitrag danach, welche Formen des Kollektiven in der documenta fifteen praktiziert wurden und inwiefern sich diese von ‚westlichen‘ Vorstellungen unterscheiden. Ausgehend von der Annahme, dass es auf der documenta fifteen vor allem um die Formierung, nicht um die bloße Voraussetzung von Kollektivität ging, setzt sich der Text kritisch mit dem Abschlussbericht des von den Gesellschaftern der Documenta gGmbH beauftragten fachwissenschaftlichen Gremiums auseinander. Dabei werden drei Modalitäten aus der ‚westlichen‘ Kunst zum Vergleich herangezogen, in denen es ebenfalls um die künstlerische Formierung von Kollektiven geht: die Ausrichtung konvivialer Situationen, die Instituierung eines gegen-hegemonialen Wir und die Markierung der Unmöglichkeit von Kollektivität aufgrund bestehender gewaltsamer Marginalisierungen. Mit allen drei Modalitäten, so zeigt der Vergleich, hat die Documenta von 2022 etwas gemeinsam, setzt aber auch deutlich eigene Akzente. Daher argumentiert der Beitrag dafür, dass die documenta fifteen tatsächlich eine neue Formierungsweise (künstlerischer) Kollektivität erprobt hat. Aufgrund der heftigen deutschen Kritik an der Ausstellung fragt der Text abschließend, ob diese Form der Kollektivierung gescheitert ist. Der Schluss erinnert an die doppelte Einladung, die der documenta fifteen vorausgegangen ist, und plädiert dafür, den durch sie angestoßenen Prozess, mit Fehlern und Entwicklungen, weiterhin offen zu halten.