Abstract
War Kollektivität einmal eine fast unsichtbare Dimension künstlerischer Produktionsprozesse, ist sie heute zu einem zentralen Wert des Kunstfelds geworden: Großausstellungen und Kunstpreise stellen das Kollektive offen in den Vordergrund. In diesem Beitrag wird diese Entwicklung entlang einiger Theorien des Kollektiven nachvollzogen, darunter Howard Beckers Konzept der Kunstwelten, Grant Kesters Begriff der Kollaboration, Judith Butlers Theorie der performativen Versammlung sowie Kai van Eikels Begriff des Synchronisierens. So wird zunächst aufgezeigt, was sich an einem in Kunstdiskursen verbreiteten Verständnis von Kollektivität geändert hat. Im zweiten Schritt werden einige gesellschaftliche Faktoren skizziert, die bei dem qualitativen Wandel der Konzepte, aber auch der quantitativen Konjunktur des Kollektiven eine Rolle spielten: der Neoliberalismus und Singularisierungsprozesse. Es wird argumentiert, dass diese das Aufkommen und die Sichtbarkeit kollektiver Ansätze begünstigen, ihre wirksame Umsetzung aber zugleich erschwert wird. Dieses Problem wird am Beispiel einer Arbeit des Kunstkollektivs assemble im Rahmen des Festivals „Unboxed“, das die britische Regierung im Brexit-Streit ankündigte, illustriert. Der Beitrag zeigt insgesamt auf, warum die gesellschaftlichen Projektionen auf künstlerische Kollektivität für das Verständnis ihrer Konjunktur eine kritische Rolle spielen, und liefert einige Vorschläge, wie dies in der Forschung – und der Kunstpraxis – berücksichtigt werden kann.