Synthese 1 (1):361-370 (
1936)
Copy
BIBTEX
Abstract
Schlicks philosophie is der bedeutendste Versuch, der je unternommen worden ist, über die Zersplitterung der philosophischen Systeme hinwegzukommen, zu einer Aufassung, die keiner Richtung angehört und doch für alle Richtungen bindend ist. Man hat bisher das Augenmerk fast immer den Antworten zugewandt, welche auf philosophische Fragen gegeben worden sind. Um diese Antworten, um ihre Wichtigkeit oder Falschheit, Ihre Begründung oder Widerlegung drehte sich bisher der Streit. Die neue Auffassung unterscheidet sich von den bisherigen darin, dass sie zunächst von den Antworten ganz absieht und die Natur der Fragestellung selbst genau untersucht. Diese Einsicht führt zu einer vollkommen neue Lösung der philosophischen Fragen, freilich in einem anderen Sinne als man erwattet hatte. Man hatte nämlich Antworten erwartet, welche die gestellte Frage -- ob zum Beispiel die Aussenwelt wirklich existiert, ob der menschliche Wille frei ist.. -- in bejahendem oder in verneinendem Sinn entscheiden sollten. Statt dessen führt die tiefer dringende Analyse zu der Einsicht, dass die Form dieser Frage überhaupt auf einem Missverständnis beruht und erlöst uns, indem sie uns den Sinn unserer Worte und ihre Verknüpfungen so klar macht, dass wir von dem Zwang des Fragens befreit werden. Es ist eine Hinwendung zu einer objektiven, undogmatischen Philosophie, die keinen Gegner haben kann, weil sie nichts behauptet. In diesem Geiste philosophieren heisst gar nichts anderes, als mit Klarheit und Bewusstsein denken. Durch diese Methode wird die Situation der Philosophie von Grund auf geändert. Es zeigt sich vor allem, dass die sogenannten unlösbaren Probleme Scheinfragen sind. Ihre Unlösbarkeit war ja unsere eigene Schuld: denn wir haben die Worte in unzulässiger Weise zu einer Frage zusammengestellt und damit den Sinnbereich der Sprache verlassen. Jede Frage, die sinnvoll gestellt worden kann, ist auch im Prinzip einer Antwort fähig. Schlick war aber nicht nur der strenge, unerbittliche Denker; innerlich vielleicht noch näher standen ihm die grossen Lebensprobleme. Diese Geisteshaltung ist nur der Ausfluss von Schlicks Persönlichkeit. Ihr war auch ein dichterischer Zug zu eigen, der sogar in seinem Stil manchmal anklingt. Diesen Zug muss man sich wohl vor Augen halten, wenn man Schlick verstehen will