Abstract
Der Rückgriff auf die Menschenwürde ist in der modernen angewandten Ethik
verbreitet, sein Stellenwert ist aber, wie sich auch in vielen Beiträgen dieses
Buches zeigt, moraltheoretisch höchst umstritten. Es ist nicht nur unklar, ob die
Menschenwürde tatsächlich ein eigenständig zu respektierendes Gut ist, sondern
vor allem, was Menschenwürde überhaupt ist und welches Verhalten sie von uns
fordert. Diese Unklarheiten wecken wiederum Zweifel daran, ob es sinnvoll ist,
der Menschenwürde einen prominenten Platz in der Ethik zuzuweisen (jenseits
eines „Präambel- und Bekenntnisdaseins“, wie Martina Herrmann es in ihrem
Beitrag ausgedrückt hat).
Das Ziel meines Beitrags ist es, zu zeigen, dass dies nicht nur sinnvoll, sondern
sogar notwendig ist, weil man ohne Rückgriff auf die Menschenwürde dem
besonderen ethischen Charakter bestimmter Handlungen nicht gerecht werden
kann, deren Verwerflichkeit darin liegt, ihre Opfer zu demütigen, zu erniedrigen,
zu entwürdigen. Die Konzentration auf Missachtungen der Menschenwürde macht
aber nicht nur die Notwendigkeit deutlich, die Würde moralphilosophisch ernst zu
nehmen, sie eröffnet zugleich eine Chance für ein angemessenes Verständnis.