Abstract

Karl Jaspers ist einer der wirkmächtigsten psychiatrisch-philosophischen Denker Deutschlands der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund einer chronisch-einschränkenden, seit Kindheitstagen bestehenden und zu bestimmten Maßnahmen zwingenden Lungenerkrankung (u. a. Liegen, regelmäßiges Abhusten) kann angenommen werden, dass Jaspers früh auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Gestaltung der eigenen Lebensführung aufmerksam wurde. Dies hatte auch Einfluss auf sein Verständnis von Psychotherapie, welches aber insbesondere von seinem philosophischen Freiheitsverständnis geprägt wurde. In diesem nahm er an, dass stets ein Freiraum der Selbstgestaltung im normalen Alltag abseits von Grenzsituationen oder schweren psychischen Krankheiten bestehe. Auch hierdurch verpasste er die Einsicht in die Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene als gestaltende Elemente der therapeutischen Beziehung gerade auch bei schweren psychischen Erkrankungen, die eine psychotherapeutisch beförderte Veränderung dieser erkrankungs-erhaltenden Muster erlaubt.