Abstract
Bevor Hölderlins Rezeption dieses Fichteschen Theorems dargestellt werden kann, ist noch ein anderer Aspekt zu bedenken. Die Vermutung liegt nahe, daß sich Hölderlin dieses Theorem Fichtes nicht nur im eigenen Studium der Wissenschaftslehre Fichtes angeeignet hat, da Schiller, mit dem Hölderlin in Jena häufig Umgang hatte, fast zeitgleich Fichtes Begriff der Wechselbestimmung bzw. Wechselwirkung in die Briefe Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen aufnahm. Seit Fichtes Ankunft in Jena zum Sommersemester 1794 studierte Schiller dessen Philosophie, weil diese ihm seiner Meinung nach erlaubte, sich noch weiter in die kantische Philosophie zu vertiefen. Das Studium der Philosophie Fichtes wurde bald fruchtbar in den philosophisch anspruchvollsten Teilen der 2. und 3. Lieferung seiner Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in die bekanntlich einige Theoreme der Philosophie Fichtes Eingang fanden. Das besondere Gewicht, das dabei Schillers Verwendung des Theorems der Wechselbestimmung im Anschluß an Fichte zukommt, wird aber erst dann deutlich, wenn man sich die Vorgeschichte des Theoriezusammenhangs vor Augen führt. Es zeigt sich dann nämlich, daß mit der Aufnahme dieses methodologischen Begriffs eine gravierende Veränderung in Schillers Begriff der Natur des Menschen einhergeht. Diese Veränderung ist aber nicht allein der neuen, Fichte entlehnten Methodologie zuzuschreiben. So hat sich Goethe als den Urheber der inhaltlichen Veränderungen in Schillers Begriff der Natur angesehen: Schiller.