Psyche 74 (12):927-948 (
2020)
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Abstract
Der Affekt der Verachtung wurde im Gegenübertragungserleben des Analytikers bislang kaum beschrieben. Wenn der Analytiker diesen nicht ausschließlich als Resultat der projektiven Identifizierung des Patienten versteht, kann er oder sie in Konflikte mit dem Über-Ich geraten, was zu einer Verleugnung dieses schwierigen Gegenübertragungsgefühls führen kann. Die Autorin beschreibt in zwei Fallvignetten, wie verächtliche Gefühle in der Gegenübertragung auftauchten und welche Über-Ich-Konflikte in ihr aktiviert wurden. Verachtung als schwieriger Affekt wird auf dem Hintergrund der Unterscheidung des normalen Über-Ichs von einem pathologischen Über-Ich untersucht. Ein pathologisches Über-Ich wird insbesondere dann im Analytiker aktiviert, wenn das Ich-Ideal durch die Wahrnehmung von Verachtung angegriffen scheint. Entscheidend ist dann, ob das pathologische Über-Ich im Analytiker mithilfe einer differenzierenden Selbstanalyse bearbeitet und modifiziert werden kann, um Verachtung als mögliche Abwehrbewegung im Kontext von schwer erträglichem traumatischem Material verstehen zu können.