Abstract
Während das Einwanderungsrecht zweifelsohne in der aktuellen philosophischen Migrationsdebatte auf großes Interesse stößt, spielt das Recht auf Auswanderung nur – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle. Die heutigen liberalen Theoretikerinnen und Theoretiker scheinen dieses Recht oft schlicht als einen Bestandteil der grundlegenden Rechte einer Person zu begreifen, ohne dabei dessen Begründung eigens zu diskutieren. In diesem Aufsatz werden drei Begründungen des Auswanderungsrechts untersucht, die von für die liberale Theorie einschlägigen Autoren vorgelegt wurden: John Locke, Immanuel Kant und John Rawls. Es wird argumentiert, dass eine gründliche Auseinandersetzung mit diesen traditionellen Begründungen nicht nur eine Verschiebung des Schwerpunkts im liberalen Denken aufzeigt – von der Legitimität der Staaten zu den Rechten von Personen –, sondern auch für die zeitgenössische Debatte auf mindestens zwei Arten von Interesse sein kann: Erstens wird dadurch eine gewisse Selbstverständlichkeit infrage gestellt und auch auf in diesen Begründungsmustern vorhandene Spannungen hingewiesen. Zweitens diskutiert der Aufsatz auch Argumente, die, obwohl sie sich von der gegenwärtigen Betonung der Rechte der Individuen unterscheiden, immer noch eine erhebliche systematische Anziehungskraft für das zeitgenössische liberale Denken haben könnten.