Abstract
Zusammenfassung1989/90 war die DDR ein ökologisch gescheiterter Staat. Doch während Eingaben aus der Bevölkerung und kritische Umweltgruppen im Laufe der 1980er Jahre immer offener gegen die vorhandenen Umweltprobleme protestierten, blieben die etablierten Wissenschaften merkwürdig stumm und waren allem Anschein nach nicht in der Lage, geeignete Konzepte zur Lösung der Umweltkrise zu entwickeln. Knapp 20 Jahre zuvor hatte jedoch in der DDR ein umweltpolitischer Aufbruch eingesetzt, der maßgeblich von wissenschaftlichen Reforminitiativen getragen wurde. Die Aufnahme des Natur- und Umweltschutzgedankens in die Verfassung von 1968 und die Verabschiedung des Landeskulturgesetzes zwei Jahre darauf, waren Ausdruck eines gesellschaftspolitischen Konsenses in der Umweltfrage.Wie ist diese scharfe Diskrepanz zu erklären? Der Aufsatz fragt nach dem Einfluss wissenschaftlicher Umweltkonzepte auf den umweltpolitischen Aufbruch in der DDR. Am Beispiel des wissenschaftlichen Naturschutzes, der seit 1951 institutionell in der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften verankert war, wird gezeigt, dass Naturschützer in den 1950er Jahren eine Phase der „Normalisierung“ durchliefen, die eine wesentliche Voraussetzung dafür war, ihren Anliegen politische Legitimation zu verleihen. Dieser erzwungene Anpassungsprozess beeinflusste aber nicht nur die Konzepte und Ziele des ostdeutschen Naturschutzes, sondern eröffnete seinen Protagonisten auch Partizipationsmöglichkeiten.In diesem Aufsatz plädiere ich für eine Neubewertung der ostdeutschen Umweltgeschichte, die bislang einseitig vom Ende her blickt. Zudem schlage ich vor, das begriffliche Konzept der „partizipatorischen Diktatur“ (Fulbrook) auf die Wissenschaftsgeschichte der DDR zu übertragen und vorhandene Ansätze damit zu erweitern.