Abstract
Der Beitrag „Behinderung und Menschenbilder“ beschäftigt sich aus einer anthropologiekritischen Perspektive mit Fragen von Behinderungskonstrukten als Bestandteil oder auch Grenzfall von Anthropologien im Bereich der Sonder-/Heil- bzw. Behindertenpädagogik. (Die Begriffe Heil-/Sonder-/Behindertenpädagogik werden hier synonym verwendet, da eine inhaltlich-systematische Unterscheidung kaum möglich ist – allerdings ist der Begriff der Heilpädagogik der früheste, der Begriff der Sonderpädagogik wird im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt und von den Nationalsozialisten stark gemacht, der Begriff der Behindertenpädagogik entsteht in der Bundesrepublik in den 1970er-Jahren.) Die ausgewählten Beispiele aus drei Jahrhunderten zeigen, wie sich Behinderung als Teil einer allgemeinen Anthropologie im Zeitalter der Aufklärung – im Sinne eines Sonderfalls des Allgemeinen – zu einer Sonderanthropologie im ausgehenden 19. Jahrhundert wandelte, um nunmehr im Zeitalter der Inklusion eine anthropologiekritische Position zu skizzieren, in der Menschenbilder im Sinne von Beschreibungen von sozialen Ein- und Ausschlusskriterien problematisiert werden. Die immanenten Menschenbilder changieren hier zunächst von einer Potenzialbeschreibung (‚Perfektibilisierung‘) zu einer Nützlichkeitserwägung bis nunmehr zu einem Minimalismus, der den Menschen von seiner gesellschaftlichen Einbindung her denkt. Der Text ist zudem von der These getragen, dass disziplinäre Menschenbilder eng mit sozialen Praktiken gekoppelt sind.