Abstract
Zusammenfassung Ein wichtiger Aspekt des Themas „Religion und Gewalt“ ist der Zusammenhang von Sprache und Gewalt. Sprache kann Gewalt sowohl literarisch- ästhetisch darstellen als auch ausüben, direkt, als psychische Gewalt, oder indirekt, als physische Gewalt, insofern sie zur Ausübung physischer Gewalt „bewegt“. Der vorliegende Beitrag möchte diesen Themenkomplex anhand einer frühchristlichen Apologie, der Rede Tatians an die Griechen etwas genauer untersuchen. Vergleichbare Untersuchungen wurden bisher in erster Linie an christlichen Texten des 4. und 5. Jahrhunderts im Hinblick auf eine in jener Epoche wahrgenommene Zunahme von Intoleranz und Gewaltbereitschaft des Christentums, insbesondere gegenüber Juden, Heiden und Häretikern unternommen. Eine Analyse einer weit früheren Apologie wie der Tatians – sie ist tatsächlich einer der frühesten erhaltenen Texte dieser Art – legt jedoch nahe, dass die Motive für die Verwendung sprachlicher Gewalt differenzierter Art waren und nicht auf eine dem Christentum inhärente Tendenz zur Intoleranz reduziert werden können. Auf dem Hintergrund heutiger soziolinguistischer Forschung sollte die Verwendung sprachlicher Gewalt vielleicht sogar eher als eine Technik zur Deeskalation physischer Gewalt erwogen werden denn als Indiz für eine Tendenz zur Eskalation physischer Gewalt.