Abstract
Der Ausgangspunkt des Bandes Vita aesthetica: Szenarien ästhetischer Lebendigkeit , ist ein archäologischer Befund: Die Formationsphase der modernen Disziplin der Ästhetik (die das Erbe von Rhetorik, Poetik und Kunstkritik aufnimmt und verwandelt) und die Herausbildung der Biologie (die eine statisch und klassifikatorisch verstandene Naturgeschichte ablöst) fallen nicht nur zufällig in die selbe Zeit (das notorische „um 1800“). Vielmehr markieren sie den Umbruch in eine neue Ordnung des Wissens. Für diese neue Episteme ist ein neuer Begriff des Lebens kennzeichnend, der sich in den veränderten Zugriffsweisen und Devisen der Ästhetik ebenso niederschlägt wie in der neuen um den Begriff der Organisation und Funktion zentrierten Lebenswissenschaft. Der Band richtet sich zum einen darauf, diesen Befund einer Solidarität von Ästhetik und Biologie aufzuweisen und zu differenzieren; er zielt zum zweiten darauf, den Lebensbegriff der Ästhetik in seinen inneren Komplizierungen und seiner Besonderheit auch gegenüber biologischen Lebensbegriffen zu kennzeichnen. Es ist erklärtermaßen nicht das Ziel des Bandes, ästhetische Lebensbegriffe auf biologische Lebensbegriffe zu reduzieren. Stattdessen scheint es vielen Beiträgen im Gegenteil darum zu gehen, an eine Gemengelage um 1800 zu erinnern, in welcher der Lebensbegriff eine komplexere Prägung hatte, als man sie ihm heute ansieht angesichts der Ansprüche der immer wieder behaupteten Leitwissenschaft Biologie, die Deutungshoheit über das, was wirklich und buchstäblich Leben ist, reklamiert. Der Band erinnert in diesem Sinne daran, dass es einen Begriff und ein Wissen vom Leben – und zwar dem Leben der Moderne – gibt, das nicht im heutigen Sinne „biologisch“, sondern ästhetisch ist; ein Wissen, das sich in ästhetischer Darstellung und Erfahrung zeigt und in der Theorie der Ästhetik reflektiert wird und das dabei ein rhetorisch-poetologisches Erbe transformiert, das um das Desiderat der „Lebhaftigkeit“ und „Lebendigkeit“ kreiste.