Abstract
Der Utilitarismus gilt als Ethiktheorie der Moderne. Seine klassischen Autoren versuchen indessen alle, zumindest prominente Teile oder Wurzeln ihrer Theorie in philosophischen Vorstellungen der Antike zu verankern. Diese Tendenz ist bei John Stuart Mill besonders stark ausgeprägt. Bekannt, wenn auch in der Mill-Literatur sträflich vernachlässigt, ist seine Bewunderung Platons, seine partielle Nähe zum Aristotelismus und seine explizite Anknüpfung an den Epikureismus. Weniger bekannt sind seine gewichtigen Anleihen bei der Stoa. Allerdings tritt Stoisches bei ihm meist nur in Form eines Amalgams antiker „Motive“ auf und kann nur im Rahmen dieser Form hinreichend gewürdigt werden. Im positiven Sinn greift Mill auf Motive und Argumente der stoischen Ethik dann zurück, wenn diese bei Platon und Aristoteles vorgeprägt sind oder deren für sein Konzept des Utilitarismus brauchbare Theorieelemente ergänzen und modifizieren und in seinen grundsätzlichen, sehr weit verstandenen Epikureismus integrierbar erscheinen. Explizit nennt er die Stoa eher beim Namen, wenn er sich von ihr distanziert. Gleichwohl ist die stoische Lehre in seiner Ethik auch positiv präsent, und zwar an systematisch entscheidenden Stellen, und dies auch dort, wo Mill nicht namentlich auf sie verweist. Dies wird im vorliegenden Beitrag anhand einer fortlaufenden Interpretation wesentlicher Passagen des 2. und 3. Kapitels von Utilitarianism aufgezeigt