Abstract
Grotius ist ein Klassiker der Theorie internationaler Beziehungen. In der politischen Philosophie hingegen wird er eher selten diskutiert. In meinem Beitrag greife ich seine Kritik an der verbreiteten Vorstellung eines unbedingt geltenden Widerstandsrechts auf. Grotius bestreitet insbesondere, dass aktiver Widerstand gegen Zwänge unter allen Umständen gerechtfertigt ist. Seiner Auffassung nach sind gewisse Zwangsverhältnisse – freiwillige Abhängigkeitsverhältnisse – durchaus mit dem Naturrecht vereinbar. Um diese Kritik plausibel zu machen, bringe ich sie zunächst gegen eine aktuelle Variante der für die Diskussion von Widerstandsrechten immer noch einschlägigen Locke’schen These vom Selbsteigentum in Stellung, aus deren Sicht freiwillige Abhängigkeitsverhältnisse zwanglose Verhältnisse sind. Dann entwickele ich in Grundzügen einen alternativen Widerstandsbegriff, der an Grotius‘ Idee eines natürlichen Privilegs der Selbstverteidigung anknüpft. Dieser Idee zufolge stützt sich Widerstand nicht etwa auf einen einzufordernden Rechtstitel wie das Selbsteigentum, sondern beruht auf menschlicher Schwäche