Abstract
Der Zeichnung kommt im Trecento nicht allein in der Praxis, sondern auch als theoretisches Fundament einer wissenschaftlich akzeptierbaren ars eine zentrale Rolle zu. Sie ist Medium der Bewahrung und Erneuerung, zudem auch unverzichtbares Kommunikationsmittel in den verschiedenen öffentlichen Bau- und Ausstattungsprogrammen zwischen Mailand, Florenz und Siena. An Cennino Cenninis umfassendem Praxishandbuch, dem ‚Libro dell′arte‘, sowie an einigen Beispielen der Zeichenkunst um 1400, lässt sich ablesen, dass disegno nicht allein die lernende Nachahmung und den Naturabzug, sondern auch den Auszug aus den gespeicherten Sinneseindrücken meinen kann. Vor allem aber wird durch Cenninis Rede vom Zeichen in deinem Kopf der graphische Akt zur Metapher der Neugestaltung der memorierten Bilddaten durch die vis imaginativa der Fantasie. Die Spuren dieser dem Werkstattgespräch entnommenen bildkünstlerischen Fachterminologie reichen allerdings weit zurück und lassen sich über Francesco Petrarca, die Dante-Kommentatoren und Dante selbst bis in die Zeit um 1300 verfolgen. Bereits in der ‚Vita Nuova‘ kann Dante mit dem terminus technicus disegnare in komplexer allegorischer Rede die Fantasie als kreative Arbeit mit dem Gedächtnis hervorheben und mit einer solchen intermedialen Brechung wirkungsvoll vom verdeutlichenden Hervorbringen eines deutenden inneren Bildes durch die ekphrastisch gesteigerte literarische Repräsentation sprechen.