Abstract
Ziel des Aufsatzes ist es, die Wechselwirkung zwischen Lebenskrisen und Theorieschreiben beim französischen Theoretiker Roland Barthes (1915–1980) einsichtig zu machen. Barthes’ Denken und Schreiben kreist, wie zu zeigen ist, fundamental um diese Lebenskrisen, ohne auf diese reduzierbar zu sein; gleichwohl nimmt er sie zum Anlass einer Werk- wie Selbsterneuerung. Drei solche Lebenskrisen werden akzentuiert. Die jahrelangen Sanatoriumsaufenthalte als junger Tuberkulosekranker konfrontieren Barthes mit der Fragilität des eigenen Leibs wie einem biografischen Zuspätkommen, das verwandelt werden will. Die politische Krise von 68, bei der ihn trotz Sympathien die Gefahr einer doktrinären, starken Kritiksprache besorgt, zwingt ihn dazu, seine bisherigen Überzeugungen zu überprüfen; er entwickelt ein Denken der Schwäche. Die Lebenskrise, die vom Tod seiner Mutter ausgeht, läutet seine letzte Werkphase ein. Der Denker, dessen Werk um ein ‚leeres Zentrum‘ kreiste und nun von tiefer Trauer geschlagen ist, sieht sich der Anforderung ausgesetzt, die Abwesenheit des verlorenen Menschen denkend und schreibend zu übersetzen; und zwar in eine Sprache, die anthropologische Unverfügbarkeit achtet, ohne die conditio humana zu essentialisieren.