Psyche 75 (12):1105-1130 (
2021)
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Abstract
Das Phänomen des Angst- oder Alptraums fügt sich, wie Freud selbst betonte, nur schlecht zu bestimmten Grundannahmen seiner Traumtheorie. Umso erstaunlicher ist es, dass er dem Theoriekapitel der Traumdeutung einen Text voranstellte, der sich, entgegen seiner Absicht, auch als Alptraum lesen lässt: den sog. »Traum vom brennenden Kind«. In diesem Text sind Traum und Erzählung so untrennbar verbunden, dass er sich narrativen Genres wie dem Märchen und dem Exemplum annähert. Tatsächlich weist er, was bisher nicht gesehen wurde, starke Bezüge zu dem Grimm’schen Märchen vom »Totenhemdchen« auf. Der vorliegende Beitrag unternimmt eine vergleichende Lektüre des atypischen Traums und des atypischen Märchens. Sie erlaubt, psychologische Fragen zu adressieren, die sowohl traum- als auch literaturtheoretisch relevant sind: die Frage nach dem Verhältnis von Wunscherfüllung und Angstausdruck und die Frage nach elementaren symbolischen Verfahren, die einem traumatischen Verlust an »Traumhaftigkeit« entgegenarbeiten.