Abstract
Daß über bio- und medizinethische Fragen heftig gestritten wird, beruht maßgeblich darauf, daß diese Fragen weltanschauliche Überzeugungen berühren, über die wir uns in einem pluralistischen Gemeinwesen permanent uneinig sind. In der moralphilosophischen Diskussion wird von diesen Überzeugungen weithin abgesehen; zur Begründung wird insoweit häufig auf das Prinzip der Säkularität oder Neutralität des Staates verwiesen. Damit geht allerdings eine Problemverschiebung einher, die die Moralphilosophie der politischen Philosophie stark annähert und zur Konzeption einer Minimalmoral zwingt. Da diese Verschiebung weder der Erfassung moralischer Phänomene noch der Analyse der rechtsphilosophischen Fragen dient, sollte deutlicher unterschieden werden: Soweit die rechtliche Regelung bioethischer Fragen erörtert wird, ist von vornherein ein rechtsphilosophischer Ausgangspunkt zu wählen, der - wie etwa der politische Liberalismus - an dem Pluralismus- und Neutralitätsproblem ansetzt. Die moralphilosophische Diskussion könnte sich dann sehr viel entschiedener den „dichteren" moralischen Überzeugungen und Einstellungen zuwenden; erst dadurch wird eine angemessene Beschreibung des moralischen Pluralismus in unserem Gemeinwesen möglich