Abstract
Gegenüber der in den letzten Jahrzehnten wiederholt vorgetragenen Kritik an der lange vorherrschenden Auffassung, dass erstmalig bei Aristoteles der Gedanke einer „Axiomatisierung“ wissenschaftlichen Wissens formuliert sei, ist es ein erstes Ziel des Artikels, die traditionelle Auffassung teilweise zu rehabilitieren, sie dabei aber weiter zu präzisieren. Ausgangspunkt dazu ist eine erst seit Hilbert üblich gewordene Unterscheidung zweier ganz verschiedener Auffassungen von Axiomatisierung: einer „logisch-analytischen“ und einer „modelltheoretischen“. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung wird erstens gezeigt, dass man Aristoteles als den Begründer der „logisch-analytischen“ Auffassung ansehen kann. Zweitens wird dafür argumentiert, dass in der vermutlich pseudo-platonischen „Epinomis“ eine „modelltheoretische“ Sicht der Axiomatisierung angedeutet ist. Ausgehend davon wird schließlich gezeigt, wie diese modelltheoretische Auffassung von Axiomatisierung zur Grundlage für ein neues Verständnis der in der Politeia diskutierten „Idee des Guten“ gemacht werden kann