Abstract
Die Genese einer im rechten Sinne verstandenen „Culturwissenschaft“, als einer Theorie, die es erlaubt, die Probleme des Prinzipienrelativismus’ in Logik, Ethik, Religion etc. anzugehen, beleuchtet Gerald Hartung in seinem Beitrag „Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft – eine Kontroverse um die Grundlagen der Kulturwissenschaft“ im Ausgang von Wundts Völkerpsychologie, indem er die Diskussionen rekonstruiert, die sich um dieselbe in den Jahren zwischen 1860 und 1901 ereigneten. Als Ausgangspunkt für seine Untersuchungen nimmt Hartung die von Steinthal und Lazarus herausgegebene „Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft“, in deren Bemühungen um eine Methoden- und Gegenstandsbestimmung der Völkerpsychologie, gleichsam das „Profil einer ‚Culturwissenschaft‘“ sichtbar wird. Der grundlegenden Skizzierung des Programms der Zeitschrift in Hinblick auf die Frage nach der Funktion der Sprache für die Genese von Geist und Kultur im Allgemeinen folgt die Verortung der konstitutiven Funktion von Sprache innerhalb Wundts Völkerpsychologie, die Hartung aus den Kontroversen zwischen Wundt und Paul, der Kritik Steinthals an Wundt und Paul als auch der späten Auseinandersetzung zwischen Delbrück und Wundt herausarbeitet. So zeigt Hartung, dass Delbrück 1901 keinerlei Interesse mehr an der Völkerpsychologie hatte, da diese wie auch deren Organ längst in der Völkerkunde aufgegangen war. Während Wundt im Ausgang von Delbrücks Vorstoß erneuert die Verbundenheit von Psychologie und Sprachwissenschaft hervorhob und die Psychologie nicht allein als eigenständige Disziplin, sondern darüber hinaus als Leitwissenschaft der Sprachwissenschaft zu etablieren suchte, sah Steinthal in der Völkerpsychologie – so Hartung abschließend – die Möglichkeit einer Kulturwissenschaft, in der die „Gebilde des objektiven Geistes“ behandelt werden.