Abstract
ZusammenfassungIn der ethischen Debatte um die Forschung mit Biobanken wird selten zwischen verschiedenen Biomaterialien differenziert. Vor diesem Hintergrund widmet sich die vorliegende qualitative Interviewstudie erstmals den praktischen Herausforderungen, die sich bei der Sammlung von postmortal gewonnenem menschlichem Gehirngewebe zu Forschungszwecken aus Sicht von in diese Praxis involvierten Experten in Deutschland stellen. Im Zentrum der ethischen Analyse stehen Herausforderungen der Spenderrekrutierung, der Kommunikation über eine Gehirnspende sowie der informierten Zustimmung. Unsere Ergebnisse relativieren zum einen die Annahme eines sogenannten Spendermangels, insofern insbesondere Kliniker eine Gatekeeper-Rolle bei der Spendergewinnung innehaben. Deren Einstellungen sollten daher als ein die Praxis unmittelbar beeinflussender Faktor stärker berücksichtigt werden; zudem sollten im Wissen um bestehende moralische Vorbehalte Ansätze zur Verbesserung der professionellen Kommunikation entwickelt werden. Bezüglich der Regelung der Einwilligung in postmortale Forschungsspenden wurde in unserem Sample das Bemühen deutlich, den ethischen Vorrang der Organspende nicht zu gefährden und die Postmortalspende vor Assoziationen mit der Organspende zu bewahren. Zur Sicherung des Vertrauens in die Forschung sowie der Autonomie von Spendern befürworteten die Experten nicht nur die Anwendung einer Zustimmungsregelung, sondern auch ein den Familienangehörigen explizit eingeräumtes Recht, einer Gehirnspende selbst dann zu widersprechen, wenn der Verstorbene seine Zustimmung erteilt hat. Die Erfahrung zeigt, dass eine offene Kommunikation über das Erfordernis eines familiären Konsenses zu einer hohen Akzeptanz des Spenderwillens in der Praxis führt. Daher könnte ein solcher, auf den Dialog von Spender und Angehörigen zu Lebzeiten bauender Ansatz auch instruktiv für die Realisierung von Spenden im Kontext der Organspende sein.