Abstract
Menschen mit Migrationshintergrund kommen im Zuge des demografischen Wandels zunehmend in ein Alter, in dem die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, steigt. Insbesondere Demenzerkrankungen in vorangeschrittenen Stadien führen zu hochgradiger Pflegebedürftigkeit, die eine ausschließlich häusliche Pflege durch Angehörige erschwert. Aktuellen Untersuchungen zufolge werden Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund jedoch zumeist zu Hause ausschließlich durch Familienangehörige gepflegt und es werden nahezu keine ambulanten Hilfen in Anspruch genommen. Die geringe Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Angeboten ist zurückzuführen auf unzureichende Information und die vom Pflegesystem unzureichende Berücksichtigung der Pflegesituation und -bedürfnisse dieser heterogenen Bevölkerungsgruppe. Auch das Verständnis der Demenzerkrankung ist in unterschiedlichen Kulturen heterogen. So wird die Krankheit häufig nicht als solche akzeptiert, sondern die Symptome als „gewöhnliche“ Alterserscheinungen interpretiert, wodurch die Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung erst spät erfolgt. Diese Faktoren führen im medizinischen und pflegerischen Alltag häufig zu ethischen Konflikten zwischen pflegenden Angehörigen und Professionellen, aber auch innerhalb des familiären Kontextes. Der Artikel stellt, ausgehend von zentralen Ergebnissen einer empirischen Studie, ethische Konflikte bei der Versorgung demenzerkrankter türkeistämmiger Menschen in Deutschland anhand von zwei Fallbeschreibungen dar. Die ethischen Herausforderungen an das ärztliche und pflegerische Handeln im stationären und häuslichen Setting bei demenzerkrankten Menschen mit Migrationshintergrund werden erörtert. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit diese Konflikte auf unterschiedlichen Ebenen „kulturalisiert“ werden und welche Implikationen sich für die Medizin- und Pflegeethik ergeben.