Evidenz-basierte Ethik: Zwischen impliziter Normativität und unzureichender Praktikabilität

Ethik in der Medizin 20 (4):274-286 (2008)
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Abstract

Mit dem Konzept der Evidenz-basierten Medizin wurde die Verwendungsweise von empirischen Informationen in den Gesundheitswissenschaften stark verändert. Ein grundlegendes Charakteristikum dieses Konzeptes ist die Unterscheidung zwischen empirischen Informationen per se und „Evidenzen“ im Sinne von qualitativ hochwertigeren empirischen Informationen. Dieses Konzept der Evidenzbasierung findet sich zunehmend auch im Kontext der angewandten Ethik. In der internationalen Fachpresse sind in den letzten 5 bis 10 Jahren zunehmend Arbeiten publiziert worden, die den Begriff „Evidenz-basierte Ethik“ in unterschiedlicher Weise verwenden. Um die ethisch akzeptable Verwendungsweise dieses neuen Konzeptes in der Ethik beurteilen zu können, bedarf es seiner systematischen und kritischen Explikation und Analyse.Der Artikel unterscheidet verschiedene deskriptive und normative Dimensionen des Konzeptes einer Evidenzbasierung und stellt diese in einer Systematik vor. Die Problembereiche im Zusammenhang mit den normativen Dimensionen werden an Praxisbeispielen der Evidenz-basierten Medizin dargestellt, um anschließend die methodischen und praxisorientierten Besonderheiten einer Evidenz-basierten Ethik herauszustellen.Die Höherwertigkeit von Evidenzen gegenüber anderen empirischen Informationen impliziert verschiedene normative Dimensionen wie die der Handlungslegitimation. Die Handlungslegitimation durch den Verweis auf Evidenzen wird dann zu einem ethischen Problem, wenn kein Konsens besteht zu der Frage, wann man bei spezifischen empirischen Informationen von Evidenz sprechen sollte und wann nicht. Durch die im Rahmen der empirischen Ethik hauptsächlich verwendeten sozialempirischen Studienansätze und die noch fehlenden Goldstandards zur Bewertung ihrer Qualität, führt die Übertragung des Evidenz-Konzeptes auf die Ethik zu weiteren methodischen und praktischen Problembereichen. Von einer Verwendung des Begriffspaares „Evidenz-basiert“ in der angewandten Ethik ist solange abzuraten, bis diese Problembereiche konsensfähig gelöst wurden. In der Zwischenzeit wäre eine „Informations-kritische“ Ethik zu fordern, deren Aufgabenspektrum in diesem Artikel vorgestellt wird.

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