Der Abschied von der Ganzheit als Wiedererfindung des Ganzen. Der Postmodernismus und die Jasperssche Alternative
Abstract
Wenn der Übergang von der antiken zur mittelalterlichen und modernen Philosophie als Übergang von den metaphysischen zu erkenntnistheoretischen Problemen des Menschen charak¬terisiert wurde, so lässt sich der Übergang von der modernen zur gegenwärtigen, bzw. "nachmetaphysischen" Philosophie als eine Kehre vom abstrakten Subjekt zum konkreten, in der Welt situierten Ich - zum "Mich" kennzeichnen. Gerade diese "neo-sokratische" Revolution der Philosophie des 20. Jahrhunderts drückt für die Autorin die wesentliche Tendenz zur Anthropologisierung der gnoseologischen und ontologischen Problematik beziehungsweise ihre differentia specifica aus. Die Verfasserin betont, dass im Laufe dieser Kehre nicht nur die sogenannte "Philosophie des Menschen" (die Lebensphilosophie, die philosophische Anthropologie, der Existentialismus, der Personalismus, die Phänomenologie des Lebens u.a.), sondern auch ihre wichtigsten Alternativen (der Dekonstruktivismus, der Postmodernismus, der Feminismus) sich als Negation des abstrakten Subjekts der Modernität formiert und entwickelt haben. Diese "anti¬moderne Einstellung" entstand im 19. Jahrhundert als Widerstand gegen den Glauben, dass die Vernunft der Gesetzgeber der Wirklichkeit sei, um mit Nietzsche, Wittgenstein, Heidegger und Foucault zur Nicht-Philosophie überzugehen und sich schließlich, in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, in eine Thematisierung des Endes zu verwandeln. So bleibt heute, in der Epoche des "Ende", des Endes der "Großen Erzählungen", der Großen Illusionen, der all¬umfassenden, totalen und totalitären Systeme, heute, wo nicht nur Gott, Marx und Kommu¬nismus für tot erklärt sind, sondern auch "der Mensch" mit seinen klassischen Attributen von Kosmotheros, Held und Herrscher, zweifellos nur eines - nicht das identitätsstifende Cogito, sondern das Ende selbst. Das Ende als Fragestellung, als Diskurs über uns und es selbst. Wenn die Frage des Endes eigentlich die große Frage des Sinnes und des Ganzen ist, so ist der Grund dafür die Tatsache, dass in dem gigantischen Haufen des "Alles", das die postmoderne Welt der Ge-gensätze bildet, der Sinn völlig verwischt ist, so dass anscheinend eine einzige Frage übrig geblieben ist: "What are you doing after the orgy?" Was bleibt übrig, wenn alles verfügbar geworden ist? Es scheint als ob die sogenannte "obèse", oder Hypertelie der postmodernen Welt, para¬doxerweise das Zeugnis des letzten Stempels der Apokalypse. Und vielleicht ist das, was die ge¬genwärtige Philosophie interpretiert oder zu Ende als Ende (be)schreibt, eigentlich nur das letzte Kapitel des ältesten Drehbuchs der Welt.