Abstract
ZusammenfassungDie Humanembryologische Dokumentationssammlung Blechschmidt, entstanden an der Universität Göttingen im Zeitraum von 1942 bis etwa 1970, stellt eine einmalige Kombination histologischer Schnittserien menschlicher Embryonen und darauf aufbauender, großformatiger und öffentlich zugänglicher Modelle dar. Nicht nur erfolgte diese Sammlungsgründung für die Disziplin der Humanembryologie erstaunlich spät, sondern ist auch in einer zweiten Hinsicht bemerkenswert: Während an anderen Standorten Modelle primär als Forschungsobjekte verstanden wurden und mit einem Lehreinsatz eine Umnutzung stattfand, war für den Göttinger Embryologen Erich Blechschmidt (1904–1992) von Beginn an ein pädagogischer Impetus maßgeblich. Im Beitrag werden die eigenwilligen Merkmale der Blechschmidt’schen Unternehmung vor ihrem disziplinären Hintergrund herausgearbeitet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den beiden für die Humanembryologie zentralen Praktiken des Sammelns und Modellierens und den dadurch in Göttingen geschaffenen Objektbeständen. Diese waren schon im Entstehungsprozess von einem besonderen Spannungsverhältnis von Individualität und Universalität geprägt, das sich auch in der späteren Nutzung der Sammlung spiegelt. Diese führt durch eine spezifische Individualisierung zuvor anonym gemachter Präparate weit aus der ursprünglichen fachwissenschaftlich-anatomischen Bestimmung in die breite gesellschaftliche Debatte um den ethischen Status menschlicher Embryonen und den Schwangerschaftsabbruch.