Abstract
Mark Alznauers Studie bietet eine ebenso konzise wie originelle Deutung von Hegels praktischer Philosophie. Sie erreicht dies, indem sie Hegels praktische Philosophie unter die überraschende Überschrift einer Theorie der „Verantwortung“ oder „Schuld“ („Theory of Responsibility“) stellt. Das ist zunächst überraschend, da weder Verantwortung noch Schuld zu den tragenden Grundbegriffen der Hegelschen Darstellung zu zählen scheinen. Alznauer will in seiner Studie aber zeigen, dass wir Hegels Behandlung seiner zentralen praktischen Begriffe – wie Wille, Person, Recht, Moralität, Sittlichkeit – nur dann angemessen verstehen können, wenn wir sie im Ausgang vom Problem der Verantwortlichkeit verstehen: Hegel lasse sich in seiner praktischen Philosophie von der Frage leiten, was alles erforderlich ist, damit wir zu Wesen werden können, die für ihr Tun Verantwortung tragen. Die verschiedenen normativen Ordnungen, die Hegel herausarbeitet – das abstrakte Recht, die Moralität, die Sittlichkeit und schließlich die Weltgeschichte – ermöglichen uns auf jeweils unterschiedliche Weise, uns „schuldig“ zu machen: Handelnde zu werden, die durch ihr Tun geistig wirken und für das Getane einstehen können. Verantwortlichkeit ist nach dieser Deutung das große Desiderat der praktischen Philosophie Hegels: „Der Mensch soll schuldig sein, insofern er gut ist, soll er nicht sein, wie ein natürliches Ding gut ist, sondern es soll seine Schuld [...] sein“ (Hegel 1986b, S. 253). Damit dies möglich wird, ist deutlich mehr erforderlich, als es zunächst scheint: Wir müssen geistige Vermögen ausbilden, durch die wir unser Tun als Ausdruck unserer Gründe erfahren können; wir müssen in einer Welt leben, die uns ein Selbstverständnis als freie Wesen ermöglicht; und wir müssen schließlich – dies ist wohl das Überraschendste der von Alznauer reklamierten Erfordernisse – als ein anerkanntes Mitglied eines Staates leben (21). Dass der Mensch Schuld haben kann, ist in diesem Sinne kein triviales Vermögen, sondern „das Siegel der absoluten hohen Bestimmung des Menschen.“ (Hegel 1986a, S. 50)