Zum Natur / Geist-Verhältnis bei Kant und Fichte

Fichte-Studien 22:89-105 (2003)
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Abstract

Das Natur/geist-verhältnis zeigt sich darin, dass ein Naturgegenstand immer in einem Verhältnis zu einem Subjekt steht und ein Subjekt immer in Relation zu einem Gegenstand. Fichtes Idee war, die Philosophie auf die Struktur des absoluten Wissens aufzubauen. Naturphilosophie ist im absoluten Wissen spezielles Wissen. Das Natur/geist-verhältnis in Form der beiden Vorstellungsarten Sinnlichkeit und Verstand zwingt uns, sie als eigenständige kognitive Vermögen anzusehen. Das menschliche Subjekt ist dialektisch und hat einen Drang zum Unbedingten, zur Weltlosigkeit und die Tendenz zur Weltbindung. Die unauflösbare Dialektik von Natur und Geist steckt strukturell in der Subjektivität; das Verhältnis von Natur und Geist folgt aus dem »Ur-teilen« der Subjektivität. Kant beginnt seine Kritik, indem er die Erkenntnisfähigkeit der Vernunft des menschlichen Geistes selbst kritisiert; sein Ausgangspunkt war die alte Metaphysik der Subjektivität. Die Grundidee in Ansehung des subjektiven Vernunftvermögens bestand in der Einteilung in theoretische - und praktische Philosophie oder kausales und freiheitliches Sein. Wie ist das Verhältnis von Wahrnehmung zur Selbstwahrnehmung zu denken? Klar ist, dass von der Erkenntnis, von dem was ist, kein Weg zu dem führt, was sein soll; dieser Weg ist durch den Hiatus irrationalis versperrt. Die transzendentale Naturlehre Fichtes ist von Kant prinzipiell vorgezeichnet, jedem Sein geht ein Denken der Subjektivität voraus, gewissermaßen ein überfaktisches Wissen. Der transzendentale Realitätsbegriff von Kant und Fichte geht dem Streit zwischen der Empirie und der Ratio aus dem Wege, denn die Transzendentalphilosophie zeichnet sich durch eine raffinierte Ausgeglichenheit in dem Sinne aus, dass sie das Subjekt zum Schöpfer seines eigenen Wissens- und Wahrnehmungsbereichs macht, ohne die Eigenständigkeit einer objektiven Welt zu verleugnen. Der transzendentale Idealismus führt uns zu einem widerspruchslosen Wirklichkeitsverständnis, trotz des natürlichen Hangs zum Dogmatismus. Mit der Setzung der gegebenen Gegenstände in Erscheinungen und Dinge an sich entfällt die Annahme einer objektiven Außenwelt. Einstein konnte sich dieser Auffassung nie anschließen, für ihn gab es die gottgegebene objektive Welt mit ihren majestätischen Naturgesetzen. Es war Fichte, der behauptete, dass die Realität der Außenwelt nicht nur durch Sinnlichkeit begriffen werden kann, sondern primär durch Sittlichkeit; konstitutive sittliche Selbsterkenntnis und nicht regulative theoretische Naturerkenntnis war für Fichte maßgebend. Transzendentalphilosophie ist die Verschmelzung von Sein und Bewusstsein zu Selbstbewusstsein, oder mit anderen Worten: Sein und Erkennen ist immer nur in Relation zur begleitenden Subjektivität zu denken. Naturphilosophie und Subjektphilosophie sind eigentlich komplementär, verweisen aber gerade deshalb auf ein Ganzes. Die Transzendentalphilosophie kommt diesem Ganzen nahe; sie ist eine subjektive Theorie über das Denken und zeigt uns kritisch die Möglichkeiten und Grenzen objektiver Erfahrungserkenntnis. Sie liefert uns eine Ontologie für die von uns gedachte Welt auf Grund unserer beiden Erkenntnisstämme Sinnlichkeit und Verstand. Die transzendentalen Bestimmungen und Strukturen sind, weil sie vor aller Erfahrung liegen, für jede denkbare Physik gültig und kanonisch. Theorien für Alles, Weltformeln oder Fragen nach dem Ursprung von Allem werden automatisch »zermalmt«. Wirklichkeit ist die faktische Vermittlung von Subjekt und Objekt; Wirklichkeit ist demnach gegenstandslos, ist bloß eine Relation und diese ist das Natur/geist-verhältnis. Naturphilosophie ist kritische Erkenntnistheorie in Ansehung der Naturwissenschaften vom Standpunkt der Transzendentalphilosophie und die objektiven Gegenstände sind Objekte unserer Vorstellungen. Die Vernunftdichotomie des theoretischen und moralischen Gebrauchs des Denkens, von Fichte absolut als eine tätige Einheit gedacht, hat ihren rätselhaften Ort in der Subjektivität. Ich will hier die Antinomie unserer theoretischen Vernunfthandlungen, die aus dem Hin und Her von Weltbindung und Weltlosigkeit, von Endlichkeit und Unendlichkeit zu meinem Thema machen Die erkenntnistheoretischen Probleme in der Physik sind philosophischer Natur; durch Veränderungen der Theorien lassen sie sich nicht zum Verschwinden bringen. Oft werden Vorstellungen hypostasiert und zu Erfahrungsgegenständen gemacht, was wir z. B. in der Quantenphysik deutlich sehen. Bei der Charakterisierung eines Quantenobjekts haben wir je nach Versuchsbedingungen eine Wellenvorstellung oder eine Teilchenvorstellung, d. h. zwei verschiedene Wahrnehmungen vorliegen. Die Frage nach einer eindeutigen Realität im Kontext der Quantenphysik ist sinnlos, denn es ist bloß ein Streit subjektiver Gesetze, der durch die Erfahrung, d. h. durch eine Messung entschieden wird. Kants Doktrin in der Kritik weist uns darauf hin, dass das Denken auf die Erfahrung zu verweisen hat, und damit die Welt erzeugt im Sinne der Revolution der Denkart. Die Wissenschaften haben es immer mit gegebenen Gegenständen zu tun, während es Aufgabe der Philosophie ist, das Wissen und dessen Herkunft selbst wissenschaftlich zu untersuchen. Fichte hat trotz der Favorisierung des absoluten Subjekts die Bedeutung der Erfahrung als Widerstand und Anstoß für das Subjekt betont; nach ihm ist das Schweben zwischen Empirie und Ratio oder Kausalität und Freiheit eine wesentliche Bestimmung der Subjektivität. In der Erfahrung ist dieses Schweben durch die produktive und intentionale Einbildungskraft gegeben, diese vermittelt zwischen den Sinnen und Begriffen und produziert Bedeutung. Das Problem besteht nun darin, dass sich das Denken wegen unseres komplementären Wesens verwickelt und sich dabei selbst in einem Streit subjektiver Gesetze verliert, woraus Aporien und Paradoxien entstehen - wie wir sie nicht nur bei der Deutung der Natur haben. Diesen Widerstreit der Subjektivität zu erhellen, muss Aufgabe einer Philosophie der Subjektivität sein. Kant und Fichte haben uns hier einen Weg gewiesen.

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Kant-Bibliographie 2002.Margit Ruffing - 2004 - Kant Studien 95 (4):505-538.

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