Abstract
Das Problem moralischer Überforderung gilt traditionell als ein Spezialproblem der Individualethik. In jüngerer Zeit wird jedoch argumentiert, daß die Unterbestimmtheit der Pflichten, die angesichts von Hunger und Armut in der Welt bestehen, sich auflösen ließe, wenn der institutionelle Ansatz einer globalen Theorie der Gerechtigkeit gewählt werde. Nicht diese Verortung der Frage, wohl aber die Aussicht auf eine leichte Lösung erscheint problematisch. Die schwierige moralphilosophische Abwägung zwischen der Bedeutung einer individuellen Lebensgestaltung und der Verpflichtung für andere wird durch die Wendung zu einem institutionellen Ansatz nicht obsolet; das Kernproblem, das in der Debatte mit dem Begriff der Integrität oder praktischen Identität von Akteuren verbunden ist, muß auch in der Begründung von Prinzipien der Gerechtigkeit diskutiert werden, wenn diese akzeptabel sein sollen. Ziel der Argumentation ist, durch die Diskussion der Überforderungsproblematik exemplarisch die oft vorgenommene scharfe Trennung zwischen Gerechtigkeitstheorie und Individualethik in Zweifel zu ziehen