Abstract
In den soziologischen, kulturwissenschaftlichen und politisch-theoretischen
Diskursen haben die Themen der Subjektivierungsweisen, Singularisierungen, Selbstsetzungsstrategien und Technologien des Selbst in den letzten
beiden Dekaden viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Angesichts dessen
stellt die Suche nach „neue[n] Vokabulare[n] und Theorien der Kollektivität“ (so das CfP zu dieser Ausgabe der Zeitschrift) eine wichtige komplementäre Fragerichtung dar. Unser Beitrag will mit der Forschungsperspektive der ‚digitalen Gouvernementalität‘ sowie den Konzepten der ‚Kollektivitätseffekte‘ und der ‚digitalen Methexis‘ (Teilhabe, Partizipation) die Suche nach einem neuen heuristischen und konzeptuellen Rahmen zur Erfassung und kritischen Durchdringung der zugleich individualisierenden und
kollektivierenden Phänomene der Digitalität unterstützen.
Ausgangspunkt des Beitrages ist die Überlegung, dass sich die Phänomene der Digitalisierung und Digitalität machthistoriographisch mit
Foucault als aktuelle Form von Gouvernementalität – genauer: digitale
Gouvernementalität – beschreiben lassen, d.h. als spezifisches epistemischpraktisches Ensemble aus Regierungstechnologien, Subjektivierungsweisen
und Wissensformen der Digitalität. Unsere grundlegende These ist, dass
sich in der Digitalität und digitalisierten Gesellschaft sowohl Regime der
verstärkten Individualisierung als auch Regime der Kollektivierung und
Kollektivität installieren, wobei erstere immer schon durch letztere eingeholt sind. Die theoretisch-konzeptuelle Herausforderung besteht darin,
beide Ausdrucksformen der digitalen Gesellschaft für sich und in ihrer kokonstitutiven Verfasstheit zu begreifen. Wir versuchen damit, Andreas
Reckwitz’ Analyse der „Digitalisierung als Singularisierung“ sowohl um
eine regierungsanalytische als auch um eine kollektivitätsfokussierte Perspektive zu ergänzen.