Abstract
In den letzten Jahren berichteten mehr und mehr Frauen von Gewalt und Respektlosigkeit in der Geburtshilfe. Inzwischen hat sich auch die Forschung verstärkt dieses Themas angenommen. Prävalenzschätzungen sind jedoch aufgrund erheblicher methodischer Schwächen noch nicht hinreichend genau zu beziffern. Die Vielzahl und Vielfalt der bestehenden Forschungsergebnisse lassen dennoch den Schluss zu, dass es in der Geburtshilfe in fast allen Regionen der Erde regelmäßig zu Gewalt und Respektlosigkeit und damit zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Die Folgen reichen bis hin zu Posttraumatischen Belastungsstörungen, was nahelegt, dass dieser Missstand sowohl aus Menschenrechts-Gründen als auch aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nicht übergangen werden darf. Daher ist es außerordentlich besorgniserregend, wenn geburtshilfliche Fachpersonen im Angesicht solcher Berichte und Forschung in einen Modus der Selbstverteidigung verfallen und die Erfahrungen der Frauen in Frage sowie Abrede stellen, anstatt zuvorderst mit Empathie zu reagieren. Der vorliegende Text wendet sich einigen dieser Reaktionsmuster seitens geburtshilflicher Fachpersonen zu: einem falsch verstandenen Objektivitätsanspruch und der mithin abwegigen Forderung, die subjektiven Erfahrungen der Frauen zu objektivieren, einer leugnenden und herablassenden Wortwahl sowie einer mangelnden Anerkennung des von den Frauen Geschilderten und einer aus berufsethischer Perspektive unzureichend fürsorglichen Haltung. Solcherlei Reaktionen sind nicht nur unzulässig, sondern lassen ebenjenen Respekt vermissen, den die betroffenen Frauen sich während der Geburt wünschten und dessen Abwesenheit sie verletzte oder gar traumatisierte. Schließlich sollten Gewalt und Respektlosigkeit in der Geburtshilfe sowie die beschriebenen Reaktionen darauf vor dem Hintergrund geschlechtsspezifischer Machtverhältnisse und Gewalt an Frauen generell diskutiert werden.