Abstract
In unserer politischen Alltagssprache verweist der Begriff des Kollektivs meist auf Ordnungen, die Kritik hemmen. Das schlägt sich auch in prominenten Varianten einer Soziologie der Kritik nieder; Kritik erscheint dort als Produkt strikt individueller Erfahrungen, zumindest aber: immer schon vorauszusetzender individueller Kompetenzen. Dagegen soll dieser Text zeigen, warum gerade die artikulierte Kritik, die von einem herrschenden Konsens abweicht, auf moralische Kollektive angewiesen bleibt. Dafür diskutiert er drei Schlüsselprobleme, die das Artikulieren von Kritik erschweren, und zeigt an ihnen, wie moralische Kollektive dazu beitragen, dass diese Probleme manchmal gelöst bzw. vermieden werden. Abschließend wird gezeigt, warum auch Sprecher, die als starke individuelle Kritiker auftreten, von kollektiven Stützen abhängen. Zur Ausarbeitung dieser Argumente greift der Text auf Durkheims Sozialtheorie zurück, die sich nicht von vornherein auf eine Pathologisierung des Kollektiven festlegt. Damit soll auch deutlich werden, was ein durkheimianischer Ansatz zu einer Soziologie der Kritik beitragen kann.