Paradigmatische Fälle? Methodologische Überlegungen im Rahmen der Supererogationsdebatte

Zeitschrift für Praktische Philosophie 4 (2):141-168 (2017)
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Abstract

Vom biblischen Gleichnis des barmherzigen Samariters über die Stilisierung von Figuren wie Mahatma Gandhi bis hin zur medialen Inszenierung von Spendengalas oder heldenhaften Rettungsaktionen – unsere Kultur- und Zeitgeschichte kennt viele Erzählungen von Personen, die anscheinend mehr tun, als moralisch geboten ist und denen dafür hohe Anerkennung zukommt. Aber auch im Alltag werden wir mit Handlungsweisen konfrontiert, die wir in besonderem Maße lobenswert finden, deren Unterlassung hingegen nicht tadelnswert; man denke etwa an besondere Freundlichkeit, Akte des Verzeihens oder auch ehrenamtliche Leistungen. Diese Phänomene scheinen – wenigstens in westlichen Kulturkreisen – einen wichtigen Teil der moralischen Erfahrungen auszumachen. Um unserer moralischen Praxis an dieser Stelle Rechnung zu tragen, wird oftmals so argumentiert, dass diese Phänomene eine eigenständige Handlungskategorie konstituierten, nämlich die der Supererogation. Unter supererogatorischen Handlungen werden dabei solche verstanden, die zwar moralisch gut, nicht jedoch moralisch geboten sind. Dabei ist auffällig, dass die Supererogationsdebatte wie kaum eine andere in der Moralphilosophie durch die Erzählung von konkreten Fällen geprägt zu sein scheint, doch was sollen und was können diese in methodischer Hinsicht leisten und was nicht? Es wird zunächst gezeigt, dass diesen mindestens drei Funktionen zukommen: erstens dienen sie der Veranschaulichung und Etablierung des Forschungsgegenstandes; zweitens dienen sie als Bezugspunktes für bestimmte moralische Intuitionen und Praxen und somit gleichsam der intuitiven Unterstützung von Existenzargumenten einer Kategorie der Supererogation; drittens dienen sie als Reflexionsmediums zur Untersuchung des Konzepts der Supererogation. Der Verweis auf konkrete Fälle unserer moralischen Praxis mag nun zweifelsohne Anlass dazu geben, sich mit den Phänomenen im Rahmen moralphilosophischer Überlegungen auseinanderzusetzen, jedoch ist er für sich betrachtet nicht hinreichend dafür, Supererogation als Handlungskategorie zu etablieren. Die eigentliche Leistungsfähigkeit, so die hier vertretene These, entwickeln die Erzählungen konkreter Fälle mit Blick auf ihren Beitrag zur Konzeptanalyse. Solche narrativen Theorieelemente lassen sich an dieser Stelle nicht ohne weiteres aussparen, da supererogatorische Handlungen am besten als Grenzsituationen des moralischen Handelns zu verstehen sind. Vermittelt über Erzählungen lässt sich daher erst ein umfassender Zugang zu den Phänomenen und insbesondere der Perspektive der Handelnden selbst erlangen.

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Katharina Naumann
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