Abstract
Unter Body Integrity Identity Disorder (BIID) versteht man das sehr seltene Phänomen, dass jemand die Amputation einer oder mehrerer gesunder Gliedmaßen oder die Beibringung einer Querschnittslähmung verlangt. Manche dieser Menschen verstümmeln sich selbst; andere fordern von Chirurgen eine Amputation oder die Durchtrennung des Rückenmarks. Von Psychologen und Psychiatern gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze für dieses Phänomen; bisher ist aber keine erfolgreiche psychotherapeutische oder pharmazeutische Therapie bekannt. Betroffenenvertreter erklären den Amputationswunsch in Analogie zu dem Verlangen von Transsexuellen nach chirurgischer Angleichung an ihr Wunschgeschlecht. Unter Medizinethikern ist die Amputation gesunder Gliedmaßen höchst umstritten; einerseits wird aus dem Autonomie-Prinzip das Recht auf Körpermodifikation abgeleitet, andererseits wird angenommen, dass der Amputationswunsch aus innerem Zwang oder Wahn resultiert. Neurologische Befunde legen nahe, dass BIID wahrscheinlich eine hirnorganisch bedingte Störung des Körperbildes ist, vergleichbar mit bestimmten Schlaganfallfolgen. Wenn BIID eine neuropsychologische Störung ist, zu deren Symptomen fehlende Krankheitseinsicht und eine durch inneren Zwang eingeschränkte Fähigkeit zu vernünftigen Entscheidungen gehören, sind die von BIID-Aktivisten und einigen Medizinethikern geforderten Amputationen kontraindiziert und stellen Körperverletzungen an Menschen mit einer neuropsychologischen Störung dar. Statt des Kurierens an einem Symptom sollte eine kausale Therapie entwickelt werden, mit dem Ziel der Integration des als fremd empfundenen Körperteils in das Körperbild.