Abstract
Religion und Vervollkommnung – des Einzelnen wie der Kirche bzw. der Christenheit – sind eng miteinander verwoben und gründen auf der Überzeugung, den Einzelnen für das Reich Gottes vorbereiten zu müssen bzw. dieses als Kirche in der Welt zu repräsentieren. Nicht zuletzt ist die asketische Tradition des Christentums im Dienst dieses Zieles zu sehen, die durch eine methodische Lebensführung den Wandel der Seele zum Guten erreichen wollte. Gnadentheologisch war dies umstritten, weil die Möglichkeit des Menschen dazu beizutragen – je nach theologischer Position – unterschiedlich gewertet wurde. Je optimistischer man hinsichtlich des menschlichen Beitrags war, umso generativer waren diese Konzepte in pädagogischer Hinsicht. Die 1909 gegründete katholische Jugendbewegung Quickborn, in der Schüler/innen höherer Schulen aktiv waren, stellt ein gutes Beispiel dafür dar, wie Religion zum Mittel sittlich-religiöser Vervollkommnung wurde. Um angesichts einer rasanten Modernisierung für gebildete junge Katholiken weiterhin relevant zu bleiben, musste an aktuellen Strömungen wie dem Abstinenzideal angeknüpft werden. Dieses war in der Reformpädagogik sowie in der Lebens- und Sozialreform um 1900 im Kaiserreich sehr präsent und konnte offenbar in Verbindung mit dem Jugendmotiv neuen religiösen Enthusiasmus wecken. Der Beitrag untersucht die Motive einer Sakralisierung der Abstinenz, ihrer pädagogischen Ziele und erwarteten Wirkungen z.B. auf Körper, Seele oder Volk sowie die verschiedenen Praktiken der Selbsterziehung und fragt schließlich danach, ob in der Verbindung von Religion und Perfektion nicht Transzendenz, konkrete Humanität (H. R. Schlette), Gnade (Kontingenz) und Fragment als doch immerhin zentrale Dimensionen biblischen Christentums ausgeblendet wurden.