Abstract
In Anerkennung der für Gegenwartsgesellschaften konstitutiven Diversität ihrer Bevölkerungen diskutieren Bioethik und Medizin verstärkt die kulturelle Relativität ihrer eigenen Voraussetzungen, die Kulturspezifik „anderer“ Positionen und die Möglichkeiten kulturübergreifender Orientierungen. Dabei kommt häufig ein Kulturbegriff zum Einsatz, der aus der Perspektive der aktuellen Sozial- und Kulturanthropologie zu statisch, zu homogenisierend und zu sehr auf Differenz und Abgrenzung hin orientiert ist. Der Beitrag diskutiert zunächst Konzepte von Kultur, die solche Verkürzungen zu vermeiden suchen. Sie betonen hingegen Verflechtungszusammenhänge unter dem Vorzeichen intensivierter Globalisierung und deuten Kultur aktiv und reflexiv, als Ressource menschlichen Tuns, und nicht deterministisch als Kausalfaktor. Anschließend wird der ethnographische Forschungsstand zu Patientenverfügungen in westlichen Gesundheitssystemen zusammengefasst. Zeitintensive, qualitative Forschung verdeutlicht die Gefahr einer Kulturalisierung sozialer Ungleichheiten, die spezifische Positionalität bioethischer Prämissen und die Vielfalt und Komplexität im Umgang mit Patientenverfügungen. Der Beitrag schließt mit Hinweisen darauf, wie Diversität in Entscheidungsprozessen am Ende des Lebens jenseits von Kultur analysiert werden kann.