Abstract
Der Naturalismus in der theoretischen Philosophie tritt in drei Varianten auf. Der metaphysische Naturalismus behauptet, dass nur Natürliches existiert. Der Scientia mensura-Naturalismus behauptet, dass die Methoden der Naturwissenschaft der einzige Weg zur Wahrheit sind. Der analytische Naturalismus versucht, in nichtintentionalen Begriffen formulierte hinreichende Bedingungen für das Vorliegen eines intentionalen Phänomens anzugeben. Im Beitrag wird gezeigt, dass diese drei Varianten des Naturalismus nicht miteinander konkurrieren, sondern Ausarbeitungsstufen eines und desselben Grundgedankens sind. Der Naturalismus in der Ethik, wie er aus den Debatten um den »naturalistischen Fehlschluss« bekannt ist, wird nicht behandelt.
Wenn hingegen von der Natur des Menschen die Rede ist, kommt der Naturbegriff auf andere Weise ins Spiel als in den genannten Varianten des Naturalismus. Natur wird hier im Sinne von »Wesen« verstanden. In jüngerer Zeit sind verschiedene, oft aristotelisch inspirierte Naturalismen der menschlichen Natur vertreten worden (zum Beispiel von Strawson, Hornsby, Nussbaum, Foot und McDowell). Im Beitrag wird dafür argumentiert, dass die Berufung auf die menschliche Natur wenig mit Naturalismus zu tun hat. Die Rede von »Natur« im Sinne von »Wesen« ist legitim, aber es ist unzweckmäßig, in diesem Zusammenhang von Naturalismus zu sprechen, mit welchem Epitheton auch immer. Anderenfalls wäre jeder Essentialismus ein Naturalismus. Tatsächlich können Berufungen auf die Natur des Menschen einen dezidiert antinaturalistischen Charakter annehmen, wiewohl sie das Wort »Natur« im Munde führen.