Abstract
Die verästelte Diskussion über den Naturalismus in der Gegenwartsphilosophie lässt sich grob in einen theoretischen und einen praktischen Zweig gliedern: ›Naturalismus‹ heißt in der theoretischen Philosophie etwas anderes als in der Ethik. Die theoretische Philosophie grenze ich dabei durch das Kriterium ab, dass in ihr die Frage, was wir tun sollen, keine Rolle spielt. Die erste Hälfte des Beitrags ist der Unterscheidung dreier Spielarten des Naturalismus in der theoretischen Philosophie gewidmet, die man ›metaphysischen Naturalismus‹, ›Scientia mensura-Naturalismus‹ und ›analytischen Naturalismus‹ nennen kann. Im dritten und vierten Abschnitt gehe ich auf erklärtermaßen naturalistische Positionen ein, die sich auf die Natur des Menschen berufen. In diesen Positionen kommt der Naturbegriff auf andere Weise ins Spiel als in den drei genannten Varianten des Naturalismus. Wo von der menschlichen Natur die Rede ist, wird ›Natur‹ nicht als Bereichsbezeichnung verstanden, sondern im Sinne von ›Wesen‹ oder ›eigentliche Beschaffenheit‹. Der Schlussteil des Beitrags handelt vom neoaristotelischen oder kurz aristotelischen Naturalismus, der mit einem normativ gehaltvollen Begriff der menschlichen Natur operiert, was auch immer das heißen mag. Der aristotelische Naturalismus wird gewöhnlich als eine Form des ethischen Naturalismus aufgefasst. Auf den zweiten Blick ist die Zuordnung nicht so klar, weil der aristotelische Naturalismus Elemente enthält, die zur Unterscheidung zwischen deskriptiv-anthropologischen und normativen Aussagen quer liegen.
Hauptziel des Beitrags ist es, die Naturalismen der menschlichen Natur, den aristotelischen eingeschlossen, im Kreis der anderen Naturalismen zu verorten und insbesondere zu klären, mit welcher Rechtfertigung sie ›naturalistisch‹ genannt werden.