Kritik des Naturalismus

New York: de Gruyter (1993)
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Abstract

Thema der Arbeit ist die Frage, ob eine naturalistische Revolutionierung unseres Selbstverständnisses sprachlich möglich ist. Nach der sprachlichen Möglichkeit wird gefragt, weil nach dem linguistic turn kein Naturalisierungsprogramm ohne den Anspruch auskommt, dass eine Reduktion, Elimination oder Uminterpretation bestimmter Diskurse über den Menschen möglich sei: Die Diskurse über den Menschen sollen an den naturalistischen Diskurs assimiliert werden. Wodurch dieser sich auszeichnet, ist nicht einfach zu bestimmen, doch ist die Intuition nicht von der Hand zu weisen, dass wir über Erfahrungen, die unser Selbstverständnis als denkende und handelnde Subjekte betreffen, in einer ‚anderen Sprache‘, zumindest in anderen Begriffen reden als über Naturdinge. Bei dieser Dualisierung spielt unser intentionalistisches Idiom, also unsere Rede von Wünschen, Überzeugungen, Absichten etc. die entscheidende Rolle. Der naturalistische Diskurs über den Menschen lässt sich in erster Linie negativ bestimmen: durch die Abwesenheit intentionaler Begriffe. In der Auseinandersetzung mit dem Naturalismus werden drei Diskussionsstränge zusammengeführt, die bisher nicht systematisch aufeinander bezogen worden sind. Ausgebend von einer kritischen Darstellung einflussreicher naturalistischer Positionen der Gegenwart und ihrer begrifflichen Konflikte wird die sprachendualistische Gegenstrategie vorgestellt, die dem Naturalismus eine kategorienfehlerhafte Verletzung von Diskursgrenzen vorwirft. Diese Auseinandersetzung mündet in eine Diskussion über die kognitive Funktion von Metaphern, die die vom Sprachendualismus aufgestellten Diskursgrenzen überschreiten. Der sprachendualistischen Intuition steht bei näherer Betrachtung eine zweifache Komplizierung entgegen, die man das „anthropomorph-physiomorphe Paradox“ nennen kann, das Paradox von anthropomorphem Naturverständnis und physiomorphem (oder naturalistischem) Selbstverständnis des Menschen. Es ist vielfach aufgewiesen worden, dass wir einerseits oft in anthropomorpher Weise über Naturdinge reden, andererseits in physiomorpher Weise über uns selbst und unsere mentalen Prozesse. Dieses Wechselspiel von Projektionen ist in unser Selbst- und Naturverständnis zu tief eingelassen, als dass man einen der beiden Züge einfach sprach-, metaphysik- oder ideologiekritisch verbieten könnte. In der Arbeit wird die Überzeugung vertreten, dass sich dieses Syndrom von Anthropomorphismus und Physiomorphismus nur aufklären lässt, wenn man das Naturalismusthema mit dem Sprachendualismusthema und dem Metaphernthema systematisch zusammenführt und sie ineinander verschränkt. Das Hauptergebnis der Arbeit besteht in dem Nachweis, dass die verschiedenen Naturalisierungsprojekte, ob reduktiv oder eliminativ, jeweils in einem angebbaren Punkt ihre Grenze finden. Dieser Punkt ist das intentionale Idiom, in dem sich unser Verständnis menschlicher Handlungen ausdrückt. Dieses Idiom scheint so universal in die Diskurse der Humanwissenschaften auszustrahlen, dass Naturalisten immer wieder auf das Konzept der Handlungsintentionalität zurückgreifen, meist in metaphorischer Form.

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Geert Keil
Humboldt University, Berlin

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