Abstract
Onora O’Neill hat 1984 den Zusammenhang zwischen grundsätzlichen Bedenken gegenüber dem ethischen Autonomiebegriff und der Kritik an der paternalistisch geprägten medizinethischen Praxis hergestellt, nicht die tatsächliche Einwilligung des konkreten Patienten zu berücksichtigen, sondern die angenommene, hypothetische Einwilligung, die ein idealisierter, völlig rationaler Patient geben würde. Im Anschluss an experimentalpsychologische Studien zur subliminalen Wahrnehmung, zu Volition und Handlungskontrolle erfahren kompatibilistische Theorien menschlicher Freiheit innerhalb der theoretischen Philosophie neue Popularität. Eine Handlung ist demnach frei, wenn sie das Resultat bestimmter Fähigkeiten einer Person ist („Kompetenztheorie“). Der Artikel setzt sich mit zwei dieser Theorien, Henrik Walters Konzept „natürlicher Freiheit“ und Michael Pauens „Minimalkonzeption personaler Freiheit“ näher auseinander—und zwar vorderhand im Hinblick auf den Entwurf eines nichtidealisierten ethischen Autonomiekonzeptes. Als solches ist es an der aktualen bzw. faktischen Fähigkeit einer Person ausgerichtet, rekurrierend auf die spezifische Determiniertheit autonomer Entscheidungen und Handlungen sowie auf ein relativiertes Konzept menschlicher Vernunft