Abstract
Mit der Akademie-Ausgabe der aristotelischen Schriften, die von 1831 an erscheinen und ein großes Dokument der Zusammenarbeit von philologischer und philosophiehistorischer Forschung darstellen, sowie der Neubewertung der aristotelischen Philosophie in der Nachfolge Hegels und Schellings, erreicht die Rezeption des aristotelischen Werkes im 19. Jahrhundert ein neues Niveau. Zurecht wird auch davon gesprochen, daß die deutsche Philosophie seit den 1830er Jahren im Zeichen einer »Erneuerung des Aristoteles« steht. Auf der Grundlage der philologischen Forschung von Bekker und Brandis bis zu Bonitz und der Philosophiegeschichtsschreibung von Schleiermacher und Ritter bis zu Zeller, geht es nicht bloß um philologische Grundlagenforschung, sondern auch um den Versuch, die Einheit des aristotelischen Philosophiekonzepts im Sinne einer »aristotelischen Weltanschauung« aufzufassen und diese zum Grundmuster der Wirklichkeitserkenntnis zu machen. Friedrich Adolf Trendelenburg, einer der einflußreichsten Schulphilosophen des 19. Jahrhunderts, verbindet diese beiden Aspekte der Aristoteles-Rezeption. Die Bedeutung der aristotelischen Philosophie läßt sich seiner Ansicht nach auf drei Leitlinien zusammenfassen: Zum einen wird sie den Anforderungen zeitgemäßen Philosophierens im Gespräch mit den Einzelwissenschaften gerecht; zum anderen liefert sie das Musterbild, wie Philosophie als »Theorie der Wissenschaften« dennoch eine prägende Funktion im Wissenschaftsdiskurs ausüben kann. Und sie bietet darüber hinaus auf einem hohen systematischen Niveau die Möglichkeit, mit der eigenen Denktradition im Gespräch zu bleiben. Die Wirkungsgeschichte dieser »Erneuerung des Aristoteles« verläuft über Rudolf Eucken, Wilhelm Dilthey und Franz Brentano bis in das 20. Jahrhundert.