Abstract
ZusammenfassungBei gerichtlich angeordneten Unterbringungen aufgrund von Eigen- oder Fremdgefährdung können Patientenverfügungen zu klinisch und ethisch schwierigen Situationen führen. Dies gilt vor allem dann, wenn darin medizinisch indizierte psychiatrische Behandlungsmaßnahmen abgelehnt werden. In solchen Situationen können Patienten zunächst weder aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen noch psychiatrisch behandelt werden. Der vorliegende Beitrag erörtert ethische Herausforderungen im Zusammenhang mit Therapieablehnungen durch Patientenverfügungen bei psychischen Erkrankungen aus interdisziplinärer Perspektive. Dabei werden die rechtlichen Grundlagen und Grenzen einer Patientenverfügung aufgezeigt. Mit Blick auf die klinische Praxis werden die normativen Voraussetzungen einer wirksamen Vorausverfügung analysiert. Darüber hinaus werden ethische Argumente für und gegen die Anwendung von Zwangsmaßnahmen und -behandlungen in Situationen von Eigen- oder Fremdgefährdung diskutiert. Die Identifizierung normativ relevanter Aspekte soll dazu beitragen, in der klinisch-psychiatrischen Praxis zu ethisch begründeten Entscheidungen im Kontext von vorausverfügten Therapieablehnungen zu gelangen.In der Schlussbetrachtung wird aufgezeigt, welche Implikationen sich aus der rechtlichen Bindungskraft von Patientenverfügungen für die klinische Praxis ergeben. Auf einer übergeordneten Ebene wird das ethische Spannungsverhältnis, das sich durch den bestehenden gesellschaftlichen Sicherungsauftrag der Psychiatrie in Situationen von Eigen- oder Fremdgefährdung ergibt, problematisiert. Auf der Ebene des individuellen Arzt-Patienten-Verhältnisses stellen wir die Bedeutung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für die Abfassung von Vorausverfügungen dar und plädieren dafür, in Beratungsgesprächen auch die weitreichenden und komplexen Konsequenzen Therapieablehnungen zu erörtern.