Abstract
In diesem Beitrag wird versucht, eine formale Kritik der Begründungen zu leisten, die die beiden Neuropathologen Otmar Wiestler und Oliver Brüstle für die Notwendigkeit und ethische Zulässigkeit der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen im Rahmen verschiedener Beiträge geliefert haben. Es zeigt sich, dass 1. die ethische Güterabwägung mit außergewöhnlichen Behandlungsaussichten arbeitet, deren Evidenz nicht allgemein einsichtig bzw. akzeptiert ist; 2. die ethischen Entscheidungen im Rahmen der Güterabwägung erkennbar den Forderungen folgen, die sich aus der eigenen naturwissenschaftlichen Fragestellung ergeben; und 3. dass sich aus dem Fehlen einer handlungsanweisenden ethischen Orientierung das Fehlen einer Reflexion auf die Implikationen des eigenen Handelns auf zukünftige Entwicklungen ergibt, die sowohl in der Konsequenz des eigenen Handelns wie der biotechnologischen Forschungslogik insgesamt liegen. In dieser Argumentation reproduziert sich exemplarisch das Grundproblem der modernen Naturwissenschaften, Fortschritt an immanente Forschungsperspektiven der Wissenschaft zu binden, anstatt die Wissenschaft wertorientiert zu führen. Ein solcher Szientismus impliziert einen permanenten Dammbruch. Daher ist ein Moratorium bezüglich neuer biotechnologischer Entwicklungen wie humaner embyronaler Stammzellforschung und therapeutischem Klonen dringend geboten. In dieser Zeit müssen Wertorientierungen und Ziele der Wissenschaft einer gründlichen fachübergreifenden Diskussion unterworfen werden, und diese Diskussion muss schließlich in die Gesellschaft getragen werden