Abstract
Emotionen sind als erlebte Bewertungen eine Form von Normativität, die intrinsisch im Spüren enthalten ist, also weder explizit gefolgert noch propositional gefasst ist. Geprüft wird in diesem Kapitel, ob Emotionen dadurch als natürliche Grundlage selbst für moralische oder genuine Normativität gelten können und sich diese letztere Form der Normativität daher auf biologisch angelegte Formen von Normativität reduzieren lässt. Diese Diskussion weist insofern Überschneidungen mit den in den vorangegangenen Kapiteln erörterten Fragen auf, als die verschiedenen Formen der Bewertung mit verschiedenen Bewusstseinsstufen in Verbindung gebracht werden und verschiedene Formen des Selbstverhältnisses erfordern. Zudem lässt sich die Diskussion um die natürliche Normativität von Emotionen mit ausgearbeiteten Versuchen verbinden, semantischen Gehalt mentaler Zustände wie zum Beispiel Emotionen auf natürliche Grundlagen zu reduzieren. Bekannt geworden sind diese Ansätze unter dem Stichwort „Teleosemantik“. Ob die Teleosemantik eine tragfähige Theorie ist, um den semantischen Gehalt mentaler Zustände zu naturalisieren, wird in Auseinandersetzung mit an ihr formulierter Kritik und deren Stichhaltigkeit erörtert, insbesondere mit der von Jerry Fodor, Wolfgang Detel, und Daniel Dennett. Der Schluss, welcher aus diesen Diskussionen gezogen wird, lautet dann, dass man sich an lebensweltlichen Praktiken der wechselseitigen Zuschreibung von Bedeutungen und Gedanken orientieren muss, um die normativen Eigenschaften des Geistigen richtig zu verstehen, weil die Normativität mentaler Gehalte relativ zu einer intersubjektiven, sprachlich verfassten Zuschreibungspraxis zu verstehen ist, die historisch gewachsen ist.
Dennoch wird im Anschluss daran noch ein der Versuch der Naturalisierung von Geistigem, nämlich von Bewusstsein durch Peter McLaughlin untersucht. Dort wird der Frage nachgegangen, ob Lebewesen einen bestimmten Zweck beziehungsweise Telos haben, und damit Interessen und ein Wohl haben, dem förderlich zu sein, die Funktion phänomenalen Bewusstseins sein könnte, also etwa auch die Funktion von Emotionen. Dabei stoßen wir ein weiteres Mal im Verlauf dieses Buches auf die Renaissance aristotelischer Theorie, denn die Frage, was es heißt, dass ein Lebewesen ein Wohl hat, wird mit Verweis auf den aristotelischen Begriff des ergons versucht zu beantworten. Wie steht es mit dem ergon als dem Wohl eines Lebewesens und damit als Naturalisierungsgrundlage, wenn als charakteristische Tätigkeit des Organismus seine Selbsterhaltung oder Selbstproduktion angesehen wird? Und wie mit naturgegebenen Notwendigkeiten als Naturalisierungsgrundlage? Zum einen wird gezeigt, dass die meisten dieser Versuche im Bemühen um eine Reduktion wiederum normative Begriffe wie Wohl oder Interesse verwenden müssen. Zum anderen wird darauf verwiesen, dass der Mensch sich auf Grund selbst anerkannter genuiner Normen und Werte gegen natürliche Normen wie die der Selbsterhaltung entscheiden kann.