Abstract
Zusammenfassung Nach Luther soll das Evangelium nicht nur in der persönlichen Meditation des Wortes, sondern auch in der öffentlichen Verkündigung, erfahrbar werden. Dies verlangt von der Verkündigung, kritisch zu rechtlichen und sozialen Verhältnissen Stellung zu nehmen. In Spannung zu diesem Anliegen tritt Luthers Instrumentalisierung des Sprachhumanismus für sein Interesse an der objektivierenden Absicherung seiner Lehre durch die äußere Klarheit der Schrift. Der darin gründende Machtanspruch lässt einen antidialogischen und aggressiven Kommunikationsstil und eine feindselige Haltung insbesondere gegen das Judentum und seine eigenständige Schriftauslegung herrschend werden. Der Humanismus verliert damit seinen wesentlichen Gehalt. Doch eine Deutung der Schrift und der Wirklichkeit im Sinne der Christus-Mystik gewinnt erst durch einen offenen Prozess der Interpretation, durch Kontextualisierung, Selbstkritik und durch Dialog an Plausibilität. Die von Luther in der Christologie geforderten Perspektivenwechsel können nur so gelingen und ihre befreiende und Solidarität stiftende Kraft entfalten. Eine Abwertung des Judentums als Bundesvolk ist damit prinzipiell unvereinbar.